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Mein Freund Orhan Eine Skizze des Komponisten Tayfun
Ich kenne Orhan Pamuk seit zwanzig Jahren. Über einen Schulfreund fand er Kontakt zu mir, und als er 1986 zum ersten Mal nach Berlin kam, übernachtete er bei mir auf der Matratze. Die Arbeiterwohlfahrt hatte ihn zu einer Lesung nach Kreuzberg eingeladen. Ich versuchte, ihn davon abzuhalten und sagte: Orhan, du bist in erster Linie Schriftsteller, was hast du mit Ausländerproblemen zu tun? Du darfst da nicht hin, du gerätst in ein Türkenghetto. Doch er hatte natürlich weder von Berlin noch vom Berufstürkentum Ahnung. So traf er auf ein Publikum, das nur wenig von Literatur verstand.
Orhan ist ein außergewöhnlich kluger Mensch – und ein wunderbares Schlitzohr. Er weiß genau, was er macht, warum er es tut und mit wem er sich einlässt. Er ist nicht zufällig zum Nobelpreis gekommen. Und anders als Yasar Kemal, der sich seit dreißig Jahren darum bemüht und Anfang der siebziger Jahre sogar in Stockholm lebte, ist es ihm nun geglückt.
Orhan steht auch mit beiden Beinen auf dem Boden. Als wir vor zehn Jahren ein Haus in der Türkei bauten, gab es große Probleme mit dem Bauunternehmer, da hat er mir viele nützliche Tipps gegeben. Von Musik hat er, wenn ich ehrlich bin, keine große Ahnung. Von Malerei versteht er sehr viel mehr – zumal er eigentlich Maler werden wollte. Anderseits habe ich von ihm fast nichts gelesen. Aber ich sage ihm dann: Sei doch nicht beleidigt, das ist wahre Liebe. Wir diskutieren trotzdem über alles Mögliche. So ist unsere Freundschaft: Ich habe von ihm nichts gelesen, er versteht nichts von Musik, aber es entsteht trotzdem etwas.
Orhan kann gut mit seiner Zeit haushalten. Er bekommt Hunderte von Anrufen, nimmt sie entgegen, legt auf – und schreibt weiter. Viele haben von ihm vielleicht nur ein paar Seiten gelesen, aber fast jeder kennt ihn – wenn auch vor allem durch seine politischen Äußerungen. Jetzt wird man bestimmt Straßen nach ihm benennen oder ihm zu Ehren Denkmäler errichten. Ob ich jetzt doch eines seiner Bücher lese? Gerade erst habe ich im Deutschlandradio eine Hörspielfassung seines Romans „Schnee“ gehört, die mir wehgetan hat. Denn diese Produktion hat wieder hauptsächlich Berufstürken als Sprecher verpflichtet, die nicht unbedingt zu den besten gehören. Einem Nobelpreisträger wird man so etwas hoffentlich nicht mehr antun.
Der türkischstämmige Autor lebt seit 1982 als Komponist, Pianist und Sänger in Berlin. Infos: www.tayfun-erdem.com
Bemerkung : Das ist eine gekürzte Fassung eines Telefon-Interviews, das Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel (Literatur-Redaktion) am 12.10. geführt hat.
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